Es folgt ein Nachrichtenaustausch (Email), der in der Primal Support Group bei Yahoo stattfand. Er wird hier mit Genehmigung wiedergegeben, aber die Namen der Personen wurden geändert, um sie und ihre Familien zu schützen.
Lieber Roger und Tom, Dank euch beiden für die nachdenklich machenden Mitteilungen über sexuellen Missbrauch. Ich verstehe und höre das Dilemma heraus, das Roger ausdrückt, weil es mir auch passiert ist: "Wurde ich sexuell missbraucht, oder bilde ich mir eine ‚falsche Erinnerung' ein?" Auch ich habe das jahrelang in der Therapie durchgemacht. Ich konnte mich an eine spätere Belästigung durch einen Großonkel erinnern, aber meine Symptome deuteten auf etwas hin, das viel früher geschehen war, obwohl es schwer war, sie genau zu bestimmen oder greifbare Erinnerungen zu präsentieren. An einem bestimmten Punkt sagte mein früherer Therapeut zu mir: "Ob es nun ‚offener sexueller Missbrauch' war oder nicht - die Beziehung, die du gerade geschildert hast, mit diesem älteren Verwandten, als du ein Kleinkind warst, sagt mir, dass es bestimmt ein ungesundes Verhältnis für ein kleines Mädchen war. Also behandle es als genau das und fühle die Gefühle - du musst der Sache keinen Namen verpassen." Das hat mir sehr geholfen. Mit meinem jetzigen Therapeuten begannen genauere Erinnerungen aufzutauchen, die meine Beziehung zu einem anderen männlichen Familienmitglied betrafen, auch als ich sehr klein war. Wiederum haben wir dem Ganzen keinen Namen gegeben, sondern ich folgte einfach den Gefühlen. Auf Dauer entwickelte sich das dahingehend, dass ich Angst vor meinem Therapeuten bekam, weil er Genitalien hatte, und ich geriet in Panik, wenn wir beide allein in einem Raum waren. Der wichtigste Punkt war, dass ich keinen Beweis von dem, was er hatte, sehen wollte und ihn gewöhnlich bat, seine Beine gekreuzt zu halten, sodass ich ‚es' nicht versehentlich zu Gesicht bekam. Eines Tages vergaß er es und breitete seine Beine aus. Ich konnte noch aufschreien "Beweg' dich nicht" und verfiel geradewegs in tiefes Weinen und Schreien, mit der Stimme eines ganz kleinen Kindes. Nachher sagte er zu mir: "Worum auch immer es bei dieser Erinnerung ging (ich wusste es noch nicht), es klingt als hättest du als Kind einen fürchterlichen Schrecken - beinahe einen Schock - erlitten." Genauso fühlte ich mich. Ich hatte Angst, dort irgendeine (sich abzeichnende) ‚Form' zu sehen, besonders irgendeinen Beweis für eine Erektion (was für eine Zweijährige keinen Sinn ergab, da ich keine Ahnung hatte, was eine Erektion war). Dann kam in den folgenden Tagen die Verknüpfung, dass sich der Erwachsene immer mit einer Erektion näherte, die sich durch seine Khakihose abzeichnete, unmittelbar bevor ich angefasst und sadistisch gequält wurde (so sehr gekitzelt wurde, dass ich mich beinahe selbst nass machte und kaum noch atmen konnte). Da er so viel größer war als ich, war ‚es' ziemlich augenscheinlich, als ich an ihm hochsah. Es wurde zu einer Sache auf Leben und Tod, immer zu wissen ob da gerade eine ‚Erektion' bevorstehe, weil sie für mich eine drohende Gefahr signalisierte. Der Grund, warum ich euch das mitteile, besteht darin zu betonen, dass wir nicht versuchen müssen, die Sache rauszukriegen oder ihr einen Namen zu geben, wenn wir Symptome dieser Art haben, die uns verunsichern, ob wir nun sexuell missbraucht wurden oder nicht. Am meisten hilft, den Gefühlen zu folgen und zu schauen, wo sie herkommen. Demzufolge ist Die Frage, ob der Vorfall als ‚sexueller Missbrauch' etikettiert werden kann oder nicht, nicht so wichtig wie mit der Erinnerung in Berührung zu kommen und sie aufzulösen. Wenn er bei uns Narben hinterlässt oder uns im Erwachsenenalter sexuell verkrüppelt, dann kann er definitiv als sexueller Missbrauch bezeichnet werden. Zum Beispiel ist Beschneidung eine Erfahrung, die die meisten Menschen nicht als sexuellen Missbrauch ‚etikettieren' würden. Und dennoch hinterlässt sie bei vielen Menschen emotionale (nicht einfach physische) Narben und ist deshalb genauso eine Form sexuellen Missbrauchs. Viele versehen sexuellen Missbrauch mit einer sehr eng gefassten Definition, aber wenn man das Thema besser versteht, wird die Definition erweitert, so dass sie alles abdeckt, was bei einem Individuum eine sexuelle Behinderung zurücklässt. So jemand kommt mir gerade in den Sinn. Er sagte mir, er glaube nicht, dass er als Kind missbraucht worden sei, zeigte aber klare Symptome einer sexuellen Funktionsstörung. Dann kam die Geschichte ans Tageslicht, dass ältere Jungs in zu Boden gedrückt hatten und ihm einen Besenstiel in seinen Anus steckten. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass man das als sexuellen Missbrauch sehen könnte. Vieles von dieser Art passiert in Internaten und Institutionen und wird nicht als sexueller Missbrauch im Sinne des Wortes anerkannt. Ich glaube, ich versuche zu sagen, dass es nicht notwendig ist ‚genau zu wissen', dass man (frau) missbraucht worden ist oder eine Erfahrung gemacht zu haben, die in einigen Lehrbüchern als ‚sexueller Missbrauch' bezeichnet wird. Wenn Sie Symptome aufweisen, die nahe legen, dass ihre sexuelle Unversehrtheit Schaden erlitten hat, so ist es eine gute Idee die Gefühle zu erforschen und zu sehen, was die Primals mit hochbringen. Wenn sie sich als hilfreich erweisen, dann haben Sie sich wahrscheinlich durch etwas hindurchgearbeitet, das für ihre Heilung wichtig war. Es ist tatsächlich nicht so wichtig, welchen Namen Sie der Sache geben. Was zählt, ist gesund und ‚ganz' zu werden. Nochmals ‚danke' an alle, die teilgenommen haben! Mit freundlichen Grüßen, Persephone ______________________
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