Der erste und wichtigste Punkt. Wenn Du Dich sicher fühlen kannst, wird Deine Abwehr, werden Deine "Schutzschilde", kleiner werden und das Primal- Material wird nach und nach aufzusteigen. Versuch es Dir zu erlauben, jedwede Sätze, Geräusche oder Bewegungen hervor zu bringen, nach denen das Gefühl verlangt - egal, wie merkwürdig diese auch immer erscheinen mögen. Wenn Du Dich schlecht fühlst, dann lass' Dich schlecht fühlen und drücke genau das ohne Einschränkung aus. Wenn Dir etwas Vergangenes einfällt, das sich genauso angefühlt hat, dann richte Deine Aufmerksamkeit auf diese Gefühlsszene, auf dieses Thema.
Manchmal weiß man, dass ein bestimmtes Gefühl in einem sitzt, aber man kommt da nicht hin. Beispielsweise Wut. Man kann das Gefühl mobilisieren, indem man die Wutarbeit gleichwohl macht. Nimm etwa einen Plastikschläger oder ein verknotetes Handtuch und fang damit an, auf eine geeignete Oberfläche zu hauen, während Du Dich über die Sachen beklagst, die Dich in Wut bringen. Das "lässt die Pumpe an", lässt die echte Wut hoch kommen. Wenn Du vermutest, tief traurig zu sein, Dich aber nur wie taub fühlst, dann könntest Du vielleicht probieren, Dich hin zu legen und eine zeitlang hin und her zu wippen und dabei zu jammern. Wichtig ist dabei, nicht zu früh auf zu geben. Bleib so lang wie möglich bei dieser Übung.
Was Dich auch immer zum Weinen bringt, ob ein Film, ein Lied, oder ein Text, ist ein Königsweg zu Primärgefühlen. Sowie der Körper sich im unwillkürlichen, krampfartigen Weinreflex befindet ist er bereit, auch anderes zu fühlen, was Tiefe und Bedeutung hat. Sowie Du also weinst, suche in Deinem Inneren nach Szenen oder Umständen, die für Dich schmerzhaft oder verwirrend waren oder sind. Stößt Du dabei auf etwas, was mit Deinem Weinen mitschwingt / "resoniert", dann lass Dich da reinfallen und lass Dich den alten Schmerz ausdrücken.
Diese Frage kannst Du Dir selber stellen um dann Deine Aufmerksamkeit auf die Körperempfindungen zu richten, die am genauesten Deine Trauer / Deinen Unbehagen ausdrücken. Wenn die Konzentration auf die Körperempfindungen gerichtet ist, dann erlaube Dir auch, Dich zu bewegen und Geräusche zu machen, wie schon oben erwähnt. Falls das Bedürfnis zu sprechen auftaucht, richte es auf die spürbar aufgeladenen Themen aus der Gegenwart, oder auch aus der Vergangenheit, die auftauchen.
Es macht Sinn, mit schmerzlichen, ärgerlichen Themen aus der Gegenwart zu beginnen, weil diese Träger einer Aufladung sind, die wahrscheinlich mit einem alten Trauma in Verbindung steht. Lass Deine Gefühle los auf die ( innerlich vorgestellte ) Person, sei die nun Dein Partner, Dein Chef oder der Typ im LKW, der Dich fertig gemacht hat. Sprich zu ihnen gerade so, als würde dieses vergangene Ereignis genau jetzt passieren. Gib Dir selbst die uneingeschränkte Erlaubnis, Dich selbst mit all der im Gefühl steckenden Kraft zur Geltung zu bringen.
Noch während Du das Gefühl aus der Jetzt-Situation zum Ausdruck bringst, suche innerlich Deine Vergangenheit ab, nach was immer sich dort genauso angefühlt hat. Wenn Du dann das altbekannte Gefühl gefunden hast, geh mit Deiner Aufmerksamkeit über in die frühere Szene. Lass Dich dann in diese Szene / in dieses Gefühl mit dem maximal möglichen Ausdruck eintauchen.
Wenn man sich an eine vergangene Situation erinnert spricht man normalerweise darüber, so, als würde man aus einer Distanzposition zuschauen. Diese Sichtweise hält uns gleichzeitig in einer emotionalen Distanz. Wenn Du an ein altes, schmerzliches Gefühl herankommst, probier dann mal so zu sprechen und Dich auszudrücken, als würde es hier und jetzt erlebt. Zum Beispiel, anstatt "Meine Mutter warf einen Teller nach mir" könntest Du sagen "Mutter wirft einen Teller nach mir"
Ein Trauma ist das Zurückhalten von Gefühlen, die keinen Ausdruck fanden und ein Primal ist der Ausdruck dessen, was nicht zum Ausdruck kam. In der Sitzung führt gerade das Sprechen zu, das direkte Ansprechen der kränkenden Person, in ein Primal. In der oben erwähnten Szene wird die betroffene Person ganz sicher das Bedürfnis haben, ihre Angst, ihren Schmerz oder ihre Wut in Gefühlsaussagen zum Ausdruck zu bringen, wie "Aufhören, Mama!", "Tu's nicht!" oder "Das tut weh / aua!" "Warum hasst Du mich?", "Ich hasse Dich!". Möglicherweise kommen auch Gefühle, die sich auf den abwesenden Vater beziehen, hoch oder ein entsetzlich gefürchtetes Gefühl - ganz und gar allein und ungeliebt zu sein. Jede Situation und Person wird einzigartig sein. Der Schlüssel ist, alles auszudrücken, was ausgedrückt werden will.
Ich glaube nicht, dass es möglich ist, schwere Traumata, insbesondere frühes Erleben von lebensbedrohlichen Ereignissen oder sexuellen Missbrauch, ohne die Präsenz eines sicheren, vertrauenswürdigen und erfahrenen Therapeuten, der emotionale und körperliche Unterstützung gibt, zu integrieren. Die unsagbare Leere und Verlassenheit dieser Erfahrungen brauchen ein Gegengewicht in Form von echter und fürsorglicher menschlicher Unterstützung im Hier und Jetzt, damit das primäre Material zur Gänze gefühlt und integriert werden kann. Gegenteilige Versuche führen gewöhnlich zum Zumachen oder zu emotionaler Desintegration. Sei vorsichtig.
Translation by Rheinhold W. Rausch
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